Zum Hauptinhalt springen

Zwei paar Stiefel - die Problematik der unterschiedlichen Vorderfußwinkelung beim Pferd

Dieser Artikel ist Bestandteil der Tagungsmappe der 3. Huftagung der DHG e.V. Die Tagungsmappe (54 Seiten) kann zum Preis von 10 Euro bei uns bestellt werden.

Jetzt kaufen

1. Problemaufriss

Immer wieder trifft man in der Praxis auf Pferde, deren Vorderhufe sich bezüglich ihrer Form und Ausrichtung zum Boden mehr oder weniger stark unterscheiden. Das reicht von leichten und nur dem wirklich aufmerksamem Betrachter ins Auge fallenden Differenzen bis hin zu hochgradig ausgeprägten Unterschieden.

Eine Zählung in meiner eigenen Kundschaft ergab: Auf 26,7% meiner Kundenpferde trifft diese Problematik einer unterschiedlichen Vorderfußwinkelung zu. Im Kollegenkreis berichtete man mir von 26,6% (Bayern), 18% (Sachsen) und 38% (Thüringen) betreuten Pferden mit ungleichen Vorderhufen.

Dieses Phänomen zieht sich quer durch alle Rassen und Altersgruppen und ist unabhängig von bestimmten Nutzungsformen und Haltungsbedingungen.

Prinzipiell ist das Auftreten von ungleich steilen Hufen an der Schultergliedmaße als ungünstig einzuschätzen, da hiermit immer eine unterschiedliche Belastung der beiden Gliedmaßen einhergeht. Dies gilt im Stand – die Beine werden „bequem“ positioniert, also bspw. entlastend vor, neben oder unter den Körper gestellt – und dies gilt ebenso in der Bewegung. Der jeweilige Winkel des Hufes und der Gelenke beeinflusst das Bewegungsmuster der Gliedmaße, was bei differierenden Gliedmaßen zu einem asymmetrischen Bewegungsablauf führt. So wird eine Verkürzung der tiefen Beugesehne (nebenbei der häufigste Grund ungleicher Vorderfußwinkel) das Pferd veranlassen, die Stützbeinphase der betreffenden Gliedmaße früher abzubrechen, da hier die verträgliche Sehnenspannung schneller erreicht ist und das Hufgelenk einen geringeren Bewegungsspielraum besitzt. Der ungleiche Gebrauch der Vordergliedmaßen bleibt dabei auch nicht ohne Auswirkung auf die Hinterhand. Ebenfalls muss man davon ausgehen, dass die unterschiedliche Biomechanik der einzelnen Gliedmaßen natürlich auch den gesamten Pferdeorganismus beeinflusst. Ergebnis ist ein in gewissem Maße asymmetrisches Pferd.

Meist ist es aber gar nicht so, dass die Pferde unter dieser ungleichen Situation leiden, also dass wir Probleme oder Schädigungen beobachten, die auf die ursprüngliche Fehlstellung und die daraus folgende Asymmetrie im Bewegungsablauf folgen. Meist verdanken sich die festgestellten Probleme und Pathologien den Versuchen des Menschen, diese differierende Stellung der Gliedmaßen an den Hufen zu reparieren. Das optische Empfinden und das Wissen um „günstiger wäre es wenn“ (Taktreinheit) – veranlasst zu dem Bestreben, die ungleich gestellten Gliedmaßen einander anzugleichen. Der steilere Huf wird dabei meist in  den Trachten nieder geschnitten, um ihn dem anderen, normalen Huf anzupassen.

Dieses Vorgehen bringt allerdings für das Pferd nahezu immer mehr Probleme mit sich, als die bestehende Ungleichheit an sich. Deshalb ist eine abweichende Hufwinkelung und unterschiedlich steile Stellung der Vordergliedmaßen bei einem adulten Pferd zu akzeptieren und nicht zu bekämpfen. Leider ist das sehr oft nicht der Fall.

Ein ganz typischer Fall ist der des 3jährigen Quarterwallachs Shiner. Als zukünftiges Turnierpferd für eine fünfstellige Summe erworben, kam Shiner zur Ausbildung und begann bereits kurze Zeit danach zu lahmen. Am 11. Juni 2008 wurde er zur Beurteilung der Hufsituation vorgestellt. Die Adspektion ergab eine starke Fehlstellung der rechten Vordergliedmaße einhergehend mit einer deutlich differierenden Form und Stellung der beiden Vorderhufe. Beim rechten Vorderhuf handelt es sich um einen Sehnenstelzfuß der tiefen Beugesehne, mit einer als hochgradig einzustufenden Hufgelenksflexion. Die Form des rechten Hufes war sehr steil und eng, während der linke Vorderhuf eher schrägwandig und vor allem in der Zehe flach zum Boden stand. Die Tragränder des linken Hufes waren sehr stark ausgebrochen. Das Eisen hatte sich Shiner zwei Tage vorher abgetreten. Die rechte Gliedmaße zeigte eine nach vorn gebrochene Zehenachse, die linke befand sich in Hyperextensionsstellung.

Shiner, vorn rechts, 11.06.08

Shiner, vorn links, 11.06.08

Der steile rechte Huf besaß eine stark verbogene Zehenwand und entsprechende Hornrillen; letztere waren im Zehenbereich gestaucht und enger zusammen liegend als im Seitenwandbereich. Er wies die charakteristische Form eines Hufes auf, bei dem versucht wurde, mittels Hufbearbeitung die abweichende Gelenkstellung (Hufgelenksflexion) zu normalisieren. Auch die vorliegenden Röntgenaufnahmen der Ankaufsuntersuchung aus dem Februar 2008 bestätigten diesen Tatbestand. Die 90° Röntgenaufnahme der rechten Vordergliedmaße zeigte typische Veränderungen des Strahlbeines und der Hufbeinspitze, die darauf hinweisen, dass bei Shiner bereits früher und mehrfach Maßnahmen zur Korrektur der Fehlstellung ergriffen wurden. Das Strahlbein wies markante Ausziehungen am unteren und oberen Knochenrand auf. Diese sind durch den erhöhten Zug der betreffenden Bandstrukturen entstanden; die am distalen und proximalen Rand des Strahlbeines inserierenden Haltebänder wurden durch die genannte Stellungskorrektur wiederholt in starke Zugspannung versetzt. Die Verbiegung der Hufbeinspitze ist zum einen eine Folge der Belastung des Hufbeinknochens, verursacht durch die erhöhte Sehnenspannung der tiefen Beugesehne, und zum anderen Ergebnis der Hebelwirkung der verbogenen Zehenwand. Die festgestellten Veränderungen der Knochenstrukturen sind irreversibel und als pathologische Schädigungen einzustufen. Sie wurden nicht durch die Fehlstellung des rechten Vorderhufes an sich verursacht, sondern durch die Bemühungen, diese Fehlstellung zu beseitigen.

Auch anlässlich des Verkaufs wurde der Huf, das zeigen die Röntgenaufnahmen, in eine „normale“ Form gebracht, d.h. der Form der linken Gliedmaße angeglichen. Der Wunsch des neuen Besitzers ist, dass diese Korrektur nun erneut erfolgreich vorgenommen wird, der „Bockhuf“ wieder beseitigt wird. Diesem Anliegen ist allerdings zu widersprechen. Die Aufgabe der Hufbearbeitung in einer solchen Situation ist es, und hierin sollte sie vom Tierarzt Unterstützung finden, den Besitzer darüber aufzuklären, dass dieses Vorgehen der Gesundheit seines Pferdes schadet und nicht nützt. Die abweichende Stellung von Shiner muss akzeptiert werden. Zukünftige Aufgabe der Hufbearbeitung ist es, jeden der beiden Vorderhufe in eine für ihn funktionstüchtige und vor allem schmerzfreie Form zu bringen.

Bevor wir uns dem Thema des Umgangs mit abweichenden Stellungen weiter zuwenden, werfen wir zunächst einen Blick auf die Gründe und Entstehungszusammenhänge ungleicher Vorderhufe.

2. Ätiologie

Die Gründe für die unterschiedliche Ausrichtung der Zehenknochen zum Boden sind vielfältig und reichen von „angeboren“ über „unfallbedingt erworben“ bis zur „arthrosebedingten Schonhaltung“ im Seniorenalter. Auch die Form der einseitigen Fehlstellung ist unterschiedlich, wobei oft ausschließlich das Hufbein, in einigen Fällen aber auch Kron- und Fesselbein steiler gestellt sind. Die angeborene Beugeanomalie, für die vor allem die intrauterine Lage des Fohlens verantwortlich gemacht wird, besitzt für das Phänomen unterschiedlicher Vorderfußwinkel eher eine geringere Bedeutung, da hierbei in den meisten Fällen beide Vorderbeine betroffen sind.

Die wohl häufigste Ursache unterschiedlicher Vorderfußwinkel ist eine in den ersten Monaten erworbene relative Verkürzung der tiefen Beugesehne (TBS) bzw. ihres Unterstützungsbandes mit Ausbildung einer Hufgelenksflexion auf einer der beiden Gliedmaßen. Die Entwicklung eines solchen Sehnenstelzfußes der TBS oder genauer des tendogenen Bockhufes soll deshalb hier im Fokus stehen.

In den meisten Fällen wird der tendogene Bockhuf im Fohlenalter erworben. Dies geschieht vor allem in den ersten 6 Lebensmonaten, der Phase des schnellsten Wachstums.

Als verursachende Faktoren werden genannt:

  • eine Wachstumsdiskrepanz zwischen den schnell an Länge zunehmenden Knochen distal des Radius einerseits und den Sehnen und Bandstrukturen andererseits
  • welche verursacht wird durch Ernährungsfehler, bspw. durch kraftfutterreiche und heuarme Fütterung und durch Imbalancen in der Vitamin- und Mineralstoffversorgung, dabei liegt besonderes Augenmerk auf dem Calcium-Phosphat-Verhältnis, Kupfermangel und Zinküberschuss (MEYER 2003: 6)
  • Bewegungsmangel, bspw. wenn das Fohlen ausschließlich oder großteils in weicher Boxeneinstreu steht und ungenügende Bewegungsmöglichkeiten auf verschiedenen Untergründen gegeben sind; die Muskeln und Sehnen können nicht ausreichend gelängt und trainiert werden[1]
  • die lateral versetzte „Grasstellung“ (lateral grazing), bei der Fohlen zum Grasen ein und dasselbe Bein nach vorn, das andere nach hinten unter den Körper stellen
  • hierfür wird auch eine exterieurbedingte genetische Komponente in Feld geführt – eine Zucht in Richtung lange Beine, kleine Köpfe erschwert es dem Fohlen, an eine kurze Grasnarbe zu kommen, weshalb sie sich in der genannten Weise aufstellen (MALJAARS 2007: 30)
  • ein daraus folgendes Bequemstellungssyndrom – bleiben die Sehnen- und Bandstrukturen einer Gliedmaße weniger beansprucht, so ist es auch bequemer, diese weiterhin weniger zu beanspruchen
  • ein verletzungsbedingtes Schonen einer Gliedmaße
  • eine vernachlässigte oder fehlerhafte Hufbearbeitung im Fohlenalter (wenn bspw. aus optisch-ästhetischen Gründen das Fohlenschnäbelchen entfernt wird)
  • das Ausbrechen des Fohlenschnäbelchens auf einer Gliedmaße - die Einziehung oberhalb des ursprünglichen Fohlenhufes, die sich nach 2 bis 3 Monaten dem Boden nähert, birgt die Gefahr das Wegbrechens der unteren Wandabschnitte, was wiederum einer steileren Hufform Vorschub leistet (FINKLER-SCHADE 1998)
  • ein unterschiedlich starker Abrieb im Zehenbereich der beiden Vorderhufe.

Seltener trifft man in der Praxis auch auf einen arthrogenen oder tendogenen Stelzfuß der im Erwachsenenalter erworben wurde. Je nach konkreter Pathologie und betroffenen Strukturen geht dieser mit einer Beugestellung im Fesselgelenk und der Steilstellung der Fessel oder mit einer Flexion des Hufgelenks und der Ausbildung des typischen Bockhufes einher.

3. Hufbearbeiterischer Umgang mit abweichenden Vorderfußwinkeln und Hufformen

a) Vorbeugen und Verhindern

Da die Entstehung der unterschiedlichen Huf- und Gliedmaßenwinkel zumeist im Fohlenalter begründet liegt, ist die wichtigste therapeutische Maßnahme die der Prophylaxe. Eine gründliche Beobachtung und Kontrolle der Huf- und Gliedmaßensituation heranwachsender Pferde ermöglicht ein frühzeitiges Eingreifen, sobald sich eine unterschiedliche Steilheit der Hufe und Gliedmaßen einstellt. Neben der Vermeidung und Umgehung von Situationen, die eine unterschiedliche Ausrichtung der Gliedmaßen befördern könnten, bietet dieses Vorgehen die besten Chancen, die Ausbildung und Manifestierung ungleicher Vorderhufe zu verhindern. So kann bspw. ein zu hoher Zehenabrieb durch veränderte Auslaufbedingungen unterbunden werden, kann man ein Wegbrechen des Fohlenschnabels durch vernünftige hufbearbeiterische Pflege verhindern, kann man einem länger andauernden Schonen einer Gliedmaße durch die Ergreifung geeigneter therapeutischer Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit und Schmerzlinderung zuvorkommen. Gelingt es nicht, eine Beugesehnenkontraktur zu verhindern, so gibt es bis zum Alter von 1 bis 1,5 Jahren verschiedene therapeutische Möglichkeiten zur Rückführung der Fehlstellung in eine physiologische Situation. Diese reichen von orthopädischen (Niederschneiden der Trachtenregion, Schutz der Zehe vor übermäßigem Abrieb) und physiotherapeutischen (passives Dehnungs- und aktives Bewegungsprogramm) über medikamentelle (Oxytetracyklingabe) bis hin zu chirurgischen Maßnahmen (Desmotomie).

Auf die einzelnen Therapien soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Festgehalten werden soll indes, dass in der Phase des Aufwachsens der Pferde die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt werden müssen, will man sicherstellen, dass Pferde auf gleichmäßig gewinkelten Vorderfüßen aufwachsen.

Dass dies heute allerdings eher die Ausnahme, denn die Regel ist, zeigen Untersuchungen zur Häufigkeit der Hufbearbeitung und Prophylaxe bei der Fohlenaufzucht. Demnach vernachlässigen 35 % der befragten Pferdezuchtbetriebe die regelmäßige Hufkorrektur ihrer Fohlen. In den übrigen Betrieben kommt der Hufschmied alle zwei bis drei Monate (35%) - was für die Prophylaxe im Fohlenalter immer noch deutlich zu selten ist - oder er kommt nach Bedarf (30%). (WALKER 2007: 108) Im letzteren Fall bleibt zu hoffen, dass der Bedarf durch kundiges Stallpersonal rechtzeitig erkannt wird.

Häufig werden diese Entscheidungen allerdings nicht von Überlegungen zur Prophylaxe und Erhaltung der Pferdegesundheit getragen, sondern unter Kostengesichtspunkten gefällt. Aber auch hierbei irrt man. CASTELIJNS weist darauf hin „dass wöchentliche Schmiedebesuche bei Voll- und Warmblutfohlen in den ersten 6 Lebensmonaten, dann, wenn 50% des Größenwachstums stattfinden, extrem kosteneffektiv sind“. (CASTELIJNS 2006: 8)

Wenn man die Huf- und Gliedmaßensituation der Fohlen in regelmäßigen und kurzen Abständen kontrolliert, kann man in dem Augenblick eingreifen, in dem sich eine unerwünschte Entwicklung abzuzeichnen beginnt. Hier liegen die größten Chancen auf gleichmäßige Hufe und Gliedmaßen.

b) Akzeptieren und Pflegen

Wurde diese Chance verpasst, kann sie beim adulten Pferd nicht mehr eingeholt werden. Begegnet uns also ein Pferd mit unterschiedlichen Vorderfußwinkeln, welches das Fohlenalter bereits verlassen hat, so ist in der Regel von einer manifesten, unumkehrbaren Situation auszugehen. Ausnahmen hiervon bestehen höchstens dann, wenn es sich um eine noch recht junge (Fehl-)Entwicklung handelt.

Ganz eindeutig zeigt sich das Ende der Korrekturmöglichkeit in der charakteristischen Verformung der Hufe. Ein steilerer Partnerhuf, der sich in der Zehenwand verbiegt, zeigt an, dass die Sehnen-, Band- und Gelenkstrukturen soweit verfestigt sind, dass sich das Horn eher verformt, als dass es die inneren Strukturen zum Nachgeben zwingt. Dieser seit langem bekannte Tatbestand wird leider immer wieder ignoriert, wodurch unnötige Probleme geschaffen werden.

„Da die verkürzte Sehne nicht nachgibt, verharrt auch das Hufbein in seiner alten Stellung und es lösen sich die Hornblättchen der Zehenwand des Hornschuhs von den Blättchen der Huflederhaut. Dieser Prozeß ist mit Entzündungssymptomen (vor allem an der Krone erkennbar) und einer stärkeren Lahmheit verbunden.“ (HENKELS 1949: 93)

Wie im Fall des Quarterwallachs Shiner kommt es deshalb zu Lahmheiten auf der korrigierten steileren Gliedmaße. Durch das Niederschneiden der Trachtenregion und die Fixierung des Hufes auf dem Beschlag wird die Knochenachse (Hufbein, Kronbein, Fesselbein) kurzfristig gestreckt. Die erhöhte Sehnenspannung der TBS sowie die verfestigten Knochen-, Band- und Gelenkstrukturen ziehen das Hufbein allerdings wieder in die ursprüngliche, steile Position zurück. Dies geschieht auf Kosten der Verbindung zwischen Hufbein und Zehenwand, wobei sich die Zehenwand verbiegt. Die gerade, steile Stellung der Zehenwand von Shiners rechtem Vorderhuf bis ca. 1,5 cm unterhalb des Kronsaumes zeigt die tatsächliche Stellung des Hufbeins in der Hornkapsel an. Die übrige Zehenwand hat sich vom Hufbein entfernt und dabei stark verbogen. Das geht zu Lasten des Hufbeinträgers und verursacht zum Teil massive Schmerzen. Auch die flacher gestellte „normale“ Gliedmaße leidet unter dieser Situation. Die hausgemachten Probleme der steileren Gliedmaße führen zu einer Überbelastung der Partnergliedmaße. Im Fall von Shiner zeigt sich dies im Verbiegen und Ausbrechen der Hornwände, Unterschieben der Trachten und dem wiederholten Verlust der Eisen.

Diese Situation wird nicht ausschließlich beim erwachsenen Pferd angetroffen, sondern kann sich auch bereits im Fohlenalter einstellen. Versucht man bspw. den tendogenen Bockhuf eines jungen Fohlens mittels orthopädischer Maßnahmen zu korrigieren, so hat man hierbei nicht immer den gewünschten Erfolg. So kann sich auch hier bereits das Horn als der schwächere Part erweisen, indem sich der in den Trachten korrigierte (gekürzte) Huf in der Folge vermehrt in der Zehe abreibt. Die stumpfe Stellung bleibt so trotz der Trachtenkorrektur erhalten. Versucht man dieses vermehrte Abreiben in der Zehe zu verhindern, indem man den Huf beschlägt, kann es passieren, dass sich, wie oben beschrieben, die Zehenwand verformt. Um so mehr wird eine solche Verformung befördert, wenn orthopädische Beschläge verwendet werden, die die Zehenwand zusätzlich belasten. „Versucht man es aber durch den sog. orthopädischen Beschlag (Schnabeleisen, Bügeleisen, überständige Eisen u.ä.), so geben nicht die zu kurzen Sehnen und Bänder, sondern es gibt allein der Hornschuh nach! Das aber beseitigt keineswegs die Funktionsstörung.“ (HENKELS 1949: 92) Verbiegt sich also die Zehenwand eines steileren Hufes, greifen orthopädische Maßnahmen am Huf nicht mehr und es müssen andere therapeutische Mittel ergriffen werden. Allerdings sollte dies nur im Fohlenalter geschehen. Ist das Pferd ausgewachsen, ist es für medikamentelle oder chirurgische Eingriffe zu spät. Abweichende Stellungen sollten dann besser akzeptiert werden, als eine Änderung der eingerichteten Verhältnisse zu erzwingen.

Der Fall von Shiner ist typisch, weil er nicht die Ausnahme, sondern die Regel des Umgangs darstellt. Nur selten wird der unterschiedlichen Stellung der Hufe Rechnung gezollt. Viel zu häufig wird weiter und ergebnislos versucht, diese Unterschiede zu beseitigen, auch wenn sich das Horn in besagter Weise verformt und man Schädigungen der eingerichteten Strukturen in Kauf nimmt. Die Folge sind Probleme, die vermeidbar wären.

Shiner ist zum jetzigen Zeitpunkt bereits 3jährig. Die betreffenden Knochen-, Band- und Sehnenstrukturen sind ausreichend ausgebildet und verfestigt, die vorliegende Hufgelenksflexion ist hierdurch fixiert. Die Fehlstellung der rechten Gliedmaße ist also zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr therapierbar.

Aufgabe der Hufbearbeitung ist es deshalb, den abweichenden Huf in seiner steilen Form gesund zu erhalten. Die Bearbeitung zielt zunächst darauf, wieder eine feste Verbindung zwischen Zehenwand und Hufbein herzustellen. Die aktuelle Hebelwirkung kann durch ein hoch ausschleichendes Beraspeln und eine entsprechende Bearbeitung des Innentragrandes effektiv minimiert werden, so dass die Schmerzhaftigkeit der Situation schnell behoben werden kann. Hierdurch wird nicht nur Lahmfreiheit erreicht, sondern es wird auch die überlastete Partnergliedmaße entlastet, was sich dort in einer tragfähigeren Form zeigt.

Shiner, vorne rechts, 30.10.08

Shiner, vorne links, 30.10.08

Womöglich stellt die abweichende Hufform und Gliedmaßensituation für Shiner eine Behinderung des normalen Bewegungsablaufs dar. Womöglich sind auch die bereits eingetretenen Veränderungen der Knochenstrukturen ein Ausgangspunkt zukünftiger Probleme. Dem allen kann jedoch nicht dadurch begegnet werden, dass eine Normalstellung erzwungen wird.

Dies gilt auch in allen anderen Fällen unterschiedlicher Vorderfußwinkel beim adulten Pferd. Wenn bspw. eine Verletzung der Schulter zwar ausheilt, im Ergebnis aber die Beweglichkeit der betroffenen Gliedmaße eingeschränkt ist, so kann dies zur einer (notwendigen) Veränderung der gesamten Gliedmaßenachse führen. Der 18jährige Warmblutwallach Forlino ist so ein Beispiel. Aufgrund seiner alten Schulterverletzung stellt Forlino seine rechte Vordergliedmaße unter den Körper; das ist die für ihn bequemste Stellung. Auch hier wurde die sich aus dieser (Schon-)Haltung ergebende steilere Stellung des rechten Hufes und der gesamten Zehenachse nicht akzeptiert. Man versuchte mit jeder Hufbearbeitung den rechten Huf dem linken Partner anzugleichen. Das Ergebnis war eine immer wiederkehrende Lahmheit und eine massive Verbiegung der Zehenwand des manipulierten Hufes. Die Blättchenschicht des rechten Hufes war stark verbreitert, was zeigt, welchem Stress der Hufbeinträger ausgesetzt war. Der linke Huf wies dazu passend deutliche Spuren der Überbelastung auf.

Forlino, 13.06.03

Auch hier ist die Therapie der Lahmheit gelungen, indem die steilere Stellung des Hufes nicht mehr bekämpft, sondern unterstützt wurde. Die Hufbearbeitung erfolgte so, dass der Zehenabrieb forciert und das Hebeln der Zehenwand vermindert wurde. Jegliches Kürzen des Trachtenbereiches unterblieb. Der Zehenwand wurde auf diese Weise ermöglicht, am Hufbein entlang herunterzuwachsen und wieder eine intakte Hufbeinaufhängung herzustellen. In dem Zuge in dem dies gelang, gesundete auch der völlig überstrapazierte linke Vorderhuf.

Forlino, 5.11.03, vorne rechts

Forlino pflegt seine bequeme Stellung der rechten Vordergliedmaße, was zu der besagten steilen Ausrichtung der Zehenknochen führt, zusätzlich aber auch eine steilere Ausrichtung der Innenwand des rechten Vorderhufes zur Folge hat. Das heißt, es wäre nicht nur verkehrt, dem rechten Huf die Trachten niederzuschneiden, genauso unangebracht wäre es auch, ihm seine längere und schrägere Außenwand zu kürzen, um gleichmäßige Hufwände herzustellen. Der Huf bietet mit seiner kürzeren steileren Innenwand und seiner schrägen längeren Außenwand das optimale Fundament für seine Gliedmaße.

So wichtig und richtig das Ziel ist, unseren Pferden zu einer symmetrischen Gliedmaßensituation mit gleichbelasteten und gleichgewinkelten Partnern an Vor- und Hinterhand zu verhelfen, so hat dieses Ziel doch sein Recht verwirkt, wenn das Pferd erwachsen ist. Wir sollten alle Mittel daransetzen, dieses Ziel in der Phase des Aufwachsens zu erreichen und hierbei auch nicht an Kosten und Aufwand sparen. Im späteren Alter ist die unterschiedliche Stellung beider Vordergliedmaßen dagegen zu akzeptieren und jede Gliedmaße für sich nach ihren eigenen gesundheitserhaltenden Gesichtspunkten zu bearbeiten.

Literatur:

CASTEIJNS, Hans (2006): Hufpflege beim Fohlen. Förderung der korrekten Stellung für künftige Sportpferde. In: Der Huf, Nr. 118, S. 6-14, Malèves-Sainte-Marie

FINKLER-SCHADE, Christa (1998): Felduntersuchung während der Weideperiode zur Ernährung von Fohlenstuten und Saugfohlen sowie zum Wachstumsverlauf der Fohlen. Bonn

GÖSSLING, Andreas (2001): Untersuchung der Wirkung von Oxytetracyclin auf die Mechanik von Sehnen- und Muskelstrukturen des Musculus flexor digitalis profundus beim Pferd. Hannover

HENKELS, Paul (1949): Kritik und Vorschlag zum Abschluß des Problems der Sehnenstelzfußbehandlung. In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift, Nr.11/12, S. 91-95, Alfeld, Hannover

MALJAARS, Bram (2007): Informationen über ungleiche Hufe bei Reitpferden – Ursachen, Folgen und Vorbeugung. In: Der Huf, Nr. 124, S. 30-34, Malèves-Sainte-Marie

MEYER, Patric Günter (2003): Genetische Analyse von angeborenen Anomalien der Gliedmaßen und der Osteochondrose (OC) beim Süddeutschen Kaltblut. Hannover

PHILIPP, Andrea (1991): Der Bockhuf beim Fohlen. Ein Beitrag zu Ätiologie und konservativer Therapie. Hannover

WALKER, Stefanie (2007): Monitoring zum Wachstum und zu Gliedmaßenveränderungen von Junghengsten in Schleswig-Holstein. Zürich

  • In den Aufzuchten herrscht jedoch Bewegungsarmut. Lediglich 20-30% der Pferdezuchtbetriebe bieten ihren Fohlen mehr als 28 h Auslauf pro Woche. (WALKER 2007:83) Auf den Tag berechnet sind dies gerade einmal 4 h freie Bewegungsmöglichkeit. Das sind keine günstigen Bedingungen für die Entwicklung gesunder Pferde. 35-40% der Betriebe gestatten ihren Fohlen 0 - 4 h pro Woche! (ebenda)