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Die Bearbeitung des unbeschlagenen Pferdes (Gerhard Jampert)

Dieser Artikel ist Bestandteil der Tagungsmappe der 1. Huftagung der DHG e.V. Die Tagungsmappe (51 Seiten) kann zum Preis von 10 Euro bei uns bestellt werden.

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen,

Ich stelle meinem Vortrag zwei Sätze voran, die man bezüglich des Themas Pferdehuf auch in Expertenkreisen immer wieder hört, und deren inneren Zusammenhang ich im Folgenden darlegen will:

„Ausschneiden kann doch jeder“

und

„Mein Pferd kann ohne Hufeisen nicht laufen“

Die erste Aussage fiel auf der Expertenkommission zur Erarbeitung der neuen Hufbeschlagsverordnung, als es darum ging, die Barhufbearbeitung als eigenen Gegenstand in die Ausbildungs- und Prüfungsordnung aufzunehmen. Die zweite Aussage kennzeichnet den Erfahrungsstand zahlreicher Pferdebesitzer. Beide Aussagen zeugen davon, dass die Grundsätze der Bearbeitung des unbeschlagenen Pferdes nicht bekannt oder in Vergessenheit geraten sind.

1. Die Grundprinzipien huforthopädischer Hufbearbeitung sind die Beachtung der Gesetzmäßigkeiten der Hufmechanik und der Biomorphose, die Materialerhaltung durch dosiertes Vorgehen und die Vermeidung abrupter Stellungswechsel bei der Korrektur deformierter Hufe.

Das Zehenendorgan des Pferdes ist hoch spezialisiert und für seine Funktion am Lauftier Pferd optimal ausgestaltet. Es hat die Schnelligkeit und Ausdauer des Pferdes auf den Boden zu bringen und muss dabei extreme Kräfte absorbieren. Der Huf ist entsprechend widerstandsfähig und hart und dennoch bemerkenswert elastisch. Er dient als Tastorgan und erneuert sich beständig selbst. Das Zusammenspiel von Abrieb und Nachwachsen sorgt dafür, dass das Pferd jedes Jahr über einen neuen Huf verfügt.

Das unbeschlagene Pferd läuft auf seinem eigenen Hornmaterial, das sich dabei abreibt – je nach Beanspruchung geschieht dies unterschiedlich stark. Bei angepasster Nutzung gleicht die Hornproduktion den laufenden Verschleiß kontinuierlich aus. Das schützende Hornmaterial ist grundsätzlich erhaltenswert. Entfernt werden darf nur, was das gesunde Laufverhalten stört, bzw. was einer heilungsorientierten Behandlung im Wege steht. In solchen Fällen sind dann u. U. befristete Nutzungseinschränkungen erforderlich.

Der Tragrand: Der vom Wandhorn gebildete Tragrand ist, der Name sagt es, der zum Tragen geeignete Teil des Hufes. Er besteht aus stabilen Hornröhrchen, verbunden durch zäh-elastisches Zwischenröhrchenhorn, und nutzt sich entsprechend der Bewegung des Pferdes ab. Ein moderater Tragrandüberstand ersetzt den Hufschutz und sollte beim unbeschlagenen Pferd nicht, wie zum Beschlagen notwendig, abgeschnitten werden, sondern kann abgenutzt sprich „abgeritten“ werden. Wird der Tragrand bei der Barhufbearbeitung entfernt, führt dies in der Regel zu fühligem Gang mitunter auch zu Lahmheit. Sind Barhufe einer starken Nutzung und damit einem starkem Abrieb ausgesetzt - bspw. die Hufe von Wanderreit- und Distanzpferden oder die in der amerikanischen Literatur oft zitierten Mustanghufe - so stellt dies in den Fällen kein Problem dar, in denen diese starke Beanspruchung antrainiert wurde. Die Hufe passen sich durch angemessenes Training der geforderten Mehrleistung an und bleiben auch ohne Tragrandüberstand für das Pferd bequem. In Fällen, wo ein solches Training unterbleibt oder nicht ausreicht, um das Verhältnis von Hornabrieb und Hornwachstum in der Waage zu halten, ist ein Hufschutz nötig. Umgekehrt sind die Pferde hierzulande aber nicht selten einem Mangel an Hornabrieb ausgesetzt. Zuwenig Bewegung und weiche Böden führen zu überhohem Tragrandüberstand, der den Huf sehr schnell ungünstig verformt. Das trifft auch auf das stark genutzte Sportpferd zu, wenn es nahezu ausschließlich auf weichen Reithallenböden geritten wird und seine Freizeit in der eingestreuten Box oder grasend auf der grünen Wiese verbringt. In solchen Fällen muss der Tragrand so gestaltet werden, dass der Abrieb forciert wird. Reicht dies nicht aus, sollte der Tragrand gekürzt werden. Wichtig ist dabei ein gleichmäßiges Kürzen, um einen Stellungswechsel der Gliedmaße zu vermeiden und die Belastungssituation der Hufwände berechenbar zu halten.

Die Eckstrebe: besteht ebenfalls aus hartem Wandhorn. Im Unterschied zum Tragrand ist sie durch ihre Schrägstellung zum Boden nicht für den Bodenkontakt konzipiert. Sie verhindert übergroße Beweglichkeit der Hornkapsel im Trachtenbereich und unterstützt die Hufknorpel.

Die Sohle: schützt das empfindliche Innenleben des Hufs. Die Sohle ist mehr oder weniger konkav geformt und hat deshalb bei vorhandenem Tragrandüberstand auf hartem, glattem Boden keinen Bodenkontakt. Auf weichem Boden füllt sich die Sohlenwölbung, auf steinigem Untergrund hat die Sohle punktuellen Druck. Pferde mit untrainierten Hufen und dünner Sohle gehen auf steinigem Untergrund klamm. Das erklärt sich durch das Fehlen einer subcutis im Bereich der Sohle, was dazu führt, dass die Sohlenlederhaut bei Steinkontakt schmerzhaft auf den Knochen des Hufbeines gequetscht wird.

Anders beim Strahl: der über eine ausgeprägte subcutis (das Strahlpolster) verfügt. Ein kräftig entwickelter Hufstrahl mit Bodenkontakt ist erwünscht und beim unbeschlagenen Pferd in der Regel gegeben. Durch seine polsternden Eigenschaften dämpft er die Auftritthärte, dient als Bremse und Richtungsgeber in abschüssigem Gelände und unterstützt den empfindlichen Bereich der Hufrolle.

Die Blättchenschicht: zwischen Wand- und Sohlenhorn ist das, was vom Hufbeinträger übrig bleibt, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat. Ergänzt durch Terminallagenhorn schützt die geschlossene Blättchenschicht den Bereich des Hufbeinträgers von unten gegen aufsteigende Keime und mechanische Verletzungen und verbindet Wand- und Sohlenhorn.

Jede dieser Hornstrukturen stellt eigene Anforderungen an die Hufbearbeitung.

Im Zusammenhang mit der genialen Aufhängungsvorrichtung des Hufbeinträgers ist der elastische und damit verwindungsfähige Barhuf in der Lage, den Sehnen- und Gelenkapparat vor den Stößen des Untergrunds auch bei hoher Geschwindigkeit zu schützen. Diese überaus positive Fähigkeit büßt der Huf ein, sobald er mit einem starren Material (Eisen, Alu) beschlagen wird. Ein Anschmiegen an den Boden, wie es dem Barhuf möglich ist, wird durch das unelastische Material verhindert. Man muss sich klar machen, dass die Gelenke des Pferdebeines den Unebenheiten des Bodens damit relativ schutzlos ausgeliefert sind. Vor allem, da hinzukommt, dass der Huf durch einen starren Hufschutz (egal ob genagelt, geklebt oder als Hufschuh angeschnallt) seinen Tastsinn einbüßt. Die elastische Beweglichkeit des Barhufs sorgt nämlich nicht nur dafür, dass ein nicht planes Auffußen zu einem guten Teil im Huf selbst kompensiert wird, sondern „informiert“ das Pferd auch über die Bodenunebenheit und sorgt so für die entsprechende gelenkschonende muskuläre Reaktion.

In weiten Teilen der Literatur wird diese existenzielle Fähigkeit auf einen „Hufmechanismus“ reduziert (Jackson 2002: 65ff.; Rödder 1977: 30; Ruthe 1997: 33; Leisering/Hartmann 1893: 145ff.; Strasser 1991: 46ff.). Hierbei wird ein mehr oder weniger gleichartiger Prozess von Ausweitung (Trachtenwände) und Verengung (Zehenwand im Bereich der Krone) der Hornkapsel unterstellt, begleitet von einem Abflachen des Sohlengewölbes und einem Niedersenken von Strahl und Ballen.[1]

Tatsächlich ist die Hufmechanik aber ein wesentlich komplexerer Prozess, der in seinen positiven und negativen Wirkungen bei der Hufbearbeitung berücksichtigt werden muss. Dabei hängt die Mechanik des Hufs unmittelbar von der konkreten Hufform ab. Beweglichkeit und Bewegungsrichtung der Hornteile sind für jeden Huf individuell verschieden. Zu den horizontalen Bewegungen der Hufwand, die auch bei weitem nicht nur im Trachtenbereich und erst recht auch nicht zwingend nach außen (also weitend) erfolgen, kommen Bewegungen in vertikaler Richtung. „Beide Richtungen korrespondieren miteinander, sprich je nach Stellung der Hornröhrchen zum Boden, wirkt der Druck des Bodens von unten nach oben oder mehr von innen nach außen oder auch von außen nach innen und alles in Kombination. Das Verwinden der Hornkapsel ist die Hufmechanik – kein ewig gleiches, sondern je nach Untergrund und Huf stets verschiedenes Bewegtwerden des Hornes.“ (Biernat/Rasch 2003: 15) Eine Befundung des Hufs nach Form und Gebrauchsspuren zeigt dem Huforthopäden, welche Kräfte wie auf ihn einwirken. Der Maßstab der Befundung ist dabei, ob der Huf seiner Aufgabe nachkommen kann oder ob er hierzu Bearbeitungshilfe braucht.

So positiv sich die Formkräfte am gesunden Huf zum Schutze von Sehnen und Gelenken auswirken, so negativ wirken sie bei einer entgleisten Hornkapsel. Wie der Bodengegendruck am Beispiel schiefer Hufe auf die Hornkapsel wirkt, zeigt das vorliegende Bildbeispiel.

Die partiell übersteile, mehr belastete Wand kann den Druck von unten nicht mehr elastisch federnd weitergeben, sondern reicht ihn ungebrochen nach oben durch. Am Huf selbst führt die übergroße Materialbeanspruchung durch diese Starrheit der Wand zu regelrechter Zertrümmerung des Horns. Zum höheren Hornabrieb auf dieser Seite kommt also auch nicht selten noch ein zusätzlicher Materialverlust durch mechanische Beschädigung. Umgekehrt ist die weniger belastete schräge Wand durch ihre Stellung zum Boden nicht mehr sehr gut in der Lage ihre Tragefunktion zu erfüllen. Sie weicht dem Druck seitlich aus, verbiegt sich und führt Zerreißungen in der Blättchenschicht herbei. Die dadurch geschaffenen Eintrittspforten für Fäulnisprozesse schädigen den Hufbeinträger – die Aufhängung des Hufbeins in der Hornkapsel wird beeinträchtigt. An schrägen Wänden kann es zu großflächigen Ausbrüchen kommen. Am Übergang von schrägen zu steilen Wandanteilen bilden sich „Sollbruchstellen“ an denen der Huf oft Risse entwickelt.

Ist diese Verformung der Hufkapsel von Dauer, bilden sich die inneren Strukturen im Huf und die darüber liegende Gliedmaße in einem kontinuierlichen Prozess um (Biomorphose). Wenn der Huf eines Pferdes schief bleibt, so bedeutet dies, dass sich auf diesem schiefen Fundament Knochen, Gelenke, Bänder und Sehnen der veränderten Situation anpassen müssen. Sie tun dies, indem sie entsprechend den Zonen höherer bzw. geringerer Belastung Material an- und umbauen. So bekommt der Hufbeinknochen selbst die Form der unsymmetrischen Hornkapsel mit einem steilen, engeren Hufbeinast auf der einen (der mehr belasteten) Seite und einem schrägeren weiteren Hufbeinast auf der anderen (der weniger belasteten) Seite, so werden Bandansätze durch Umbildung von Bandgewebe in Knochengewebe verstärkt, Gelenkflächen vergrößert, Hufknorpel in Knochen umgewandelt.

Huforthopädische Arbeit muss die negativen Wirkungen der Hufmechanik beseitigen. Ziel ist zunächst, wenn wir am Beispiel des schiefen Hufes bleiben, die weghebelnde weniger belastete Seite zu stabilisieren und sie zu befähigen, wieder Traglast funktional zu übernehmen. Konkret heißt dies, die Verbiegekräfte des Bodengegendrucks durch kluge Bearbeitung zu minimieren und so die zu schräg gewordene Wand unter das Pferdegewicht zurückzuformen. Wie diese Bearbeitung in der Praxis aussieht, werden Ihnen meine Kollegen heute am Nachmittag demonstrieren. Eine wesentliche Maßnahme stellt hierfür das rieddachmäßige Beraspeln der schrägen Wand dar. Mit Rieddach ist dabei folgendes gemeint: Die Hornröhrchen der Hornkapsel werden so bearbeitet, dass die äußersten Hornröhrchen zu den kürzesten werden. Das ausschleichende (fließende Übergänge) Beraspeln der Hufwand von außen stellt eine Struktur her, bei der die Hornröhrchen von innen (dem Hufinneren am nächsten gelegen) nach außen kürzer werden, also weiter oberhalb des Bodens enden. Diese Struktur stabilisiert den Hornröhrchenverbund dergestalt, dass das jeweils obere (äußere, darüber liegende) Röhrchen die darunter liegenden (weiter innen liegenden) Hornröhrchen in ihrer Bewegung nach außen beschränkt. Der Gegendruck des Bodens wirkt auf eine solcherart beraspelte Hufwand weniger nach außen (verbiegend). Man kann sich die Sache selbst an einem handelsüblichen Strohbesen veranschaulichen. So lange die Strohhalme alle gleichlang sind, verbiegt sich das Strohbündel bei senkrechtem Druck von oben nach der Seite. Angeschrägt und mit der längeren Halmlänge zuerst aufgesetzt, findet dieses Verbiegen nicht mehr statt, da die längeren Halme von den kurzen, die keinen Bodenkontakt haben, gehalten werden.

Neben der Stabilisierung der hebelnden Wand ist bei schiefen Hufen beinahe immer auch eine Arbeit an der Sohle erforderlich. In der oben vorstellig gemachten Hufsituation wird sich nicht nur der Strahl sehr stark in die Richtung der schrägen Wand legen. Auch das Sohlenhorn wird von innen gegen diese Wand „dränge(l)n“. Die eh schon hebelnden Wandanteile erhalten dadurch von innen einen zusätzlichen Impuls nach außen. Ohne die Beseitigung dieses Drucks kann die Stabilisierung der Wand keinen Erfolg haben. Das „Drängelhorn“ muss entfernt werden. Es handelt sich dabei um übermäßig produziertes Sohlenhorn, so dass bei korrekter Arbeit die Schutzfunktion des Sohlenhorns nicht beeinträchtigt wird.

Mit Entfernung dieses Drängelhorns wird die Blättchenschicht an der schrägen Wand frei geschnitten. Sie kann nun auf Fäulnisprozesse in Folge der hebelbedingten Zerreißungen untersucht werden. Dasselbe muss am Strahlkörper passieren, da hier meist die Strahlfurche Richtung schräge Wand zugedeckelt ist. Das Freischneiden einer solchen Strahlfurche ist in vielen Fällen nur begrenzt möglich, da sich bei chronischen Zuständen oft der gesamte Strahlkörper verlagert hat.

Mit diesen Maßnahmen ist huforthopädische Arbeit am schiefen Huf noch nicht fertig, die negativen Wirkkräfte werden so noch nicht auf Dauer beherrscht. Ausgangspunkt für die dargestellte Situation ist bei schiefen Hufen eine einseitige Belastung, die zu vermehrtem Abrieb des Hornmaterials auf der mehr belasteten Seite führt. Die schräge, weniger belastete Wand hat längere Hornröhrchen, deren schon ursprünglich gegebener ungenügender Abrieb sich durch ihre Stellung zum Boden noch verringert – sobald sich die Wand infolge der Stabilisierung aufrichtet, muss dafür gesorgt werden, dass sie sich trotz geringerer Belastung gleichmäßig mit der belasteten Seite abreibt. Wurde mit der Anlegung des Rieddachs zunächst auf die Stabilisierung der schiefen Hornröhrchen gesetzt, wird jetzt die durch diese Raspeltechnik erfolgende Ausdünnung der Wand zur Herstellung von vermehrtem Abrieb genutzt. Die schräge, weniger belastete Wand gleicht sich in der Abnutzung so der mehr belasteten Seite an, d.h. sie erfährt durch ihre Ausdünnung denselben Abrieb, wie die dickere, stärker belastete Wand.

Die Schiefe des Hufs mit ihren negativen mechanischen Folgen kann so beseitigt werden bzw. auf ein Maß zurückgeführt werden, welches der individuellen Gliedmaße entspricht. Es wird damit auch ein Impuls zur eventuellen Rückbildung negativer Entwicklungen der inneren Strukturen gesetzt.

Das die Nutzbarkeit des Pferdes gewährleistende Hornmaterial wird so weit als möglich geschont. Tragendes Horn wird an keiner Stelle der Hornkapsel gekürzt. Das ist ein weiterer grundsätzlicher Gesichtspunkt bei dieser Form von Arbeit. Durch den Verzicht auf einseitiges Kürzen der Hornwände wird die Stellung des Hufs zum Untergrund durch die Arbeit nicht verändert. Dies ist ein wesentlicher Grundsatz huforthopädischer Arbeit. Die Zehengliedmaße hat in ihren Gelenken sehr wenig seitliche Bewegungsfreiheit. Stellungsveränderungen, die am Huf im Millimeterbereich liegen, ändern in den weiter oben liegenden Fußanteilen die Bedingungen in weit größerem Ausmaß. Einzelne Bänder werden plötzlich entlastet, andere dauerhaft stark angespannt. Ein plötzlicher Wechsel kann so Schäden an Sehnen, Bändern und Gelenken provozieren.

Natürlich bedeutet die Beseitigung der Schiefe durch unsere Arbeit letztendlich auch einen Stellungswechsel zurück zu einem gleichmäßig belasteten Huf. Dieser erfolgt aber physiologisch verträglich über einen längeren Zeitraum und durch die kontinuierliche Abnutzungsarbeit des Pferdes an seinen Hufen selbst.

Ein Vorgehen nach diesen Grundsätzen ist nur am Barhuf möglich. Da unter dem Eisen wie auch unter dem Kunststoffbeschlag der Hornabrieb nicht gesteuert eingesetzt werden kann, muss dort die Korrektur beim Umbeschlagen erfolgen. Das heißt, der schiefe Huf muss nachträglich korrigiert werden, indem er an der einen Stelle mehr und an der anderen Stelle weniger gekürzt wird. Mit einem neuen Beschlag versehen, muss der Huf dann zwangsläufig die gleiche Entwicklung wie vorher nehmen, da der Abrieb wiederum nicht gesteuert werden kann. Im Prinzip zementiert man so die schiefe Hufsituation, weshalb schiefe Hufe unserer Meinung nach auch nicht beschlagen werden sollten!

2. Ich habe ausgehend von der Behauptung einer natürlichen Leistungsfähigkeit des Pferdehufs die Bearbeitungsgrundsätze der Huforthopädie am Beispiel schiefer Hufe dargestellt. Ich habe ein solche unphysiologische Hufsituation zur Darstellung gewählt, da das domestizierte und in Zuchtprozessen geformte Pferd weder einen Naturhuf, noch die Lebensbedingungen besitzt, sich einen solchen ein Leben lang selbst zurecht zu laufen. Der Pferdehuf unterliegt zahlreichen Einflüssen, die ihn deformieren und seine Diensttauglichkeit einschränken, wobei heute zumindest im Freizeitreiterbereich das Problem meist nicht die Überbeanspruchung, sondern die ungenügende Arbeit mit dem Pferd ist.

Einer dieser schädlichen Einflüsse – ich behaupte der wesentliche - ist unsachgemäße oder ausbleibende Hufzubereitung.

Natürlich gibt es bei den Hufbearbeitern – egal ob staatlich anerkannt oder nicht - individuelle Unterschiede in Wissen und Fähigkeiten. Hier ist die Fähigkeit zur Selbstkritik, die Urteilsfähigkeit des Pferdebesitzers und die fachliche Unterstützung einer Hufschule gefragt. In diesen persönlichen Unterschieden liegt aber nicht der wesentliche Grund von Bearbeitungsfehlern. Diesen sehe ich vielmehr in einem Vorgehen, das den Huf vorgegebenen Kriterien (Idealmaßen und –winkeln) unterwirft und sich nicht an seiner Verfasstheit orientiert.

a)      Das beginnt bei den überkommenen Fesselstands-, Zehenachsen- und Fußungstheorien. Im allgemeinen wird ein Pferd mit ungebrochener Zehenachse leistungsfähiger sein als sein Kollege mit einer ausgewachsenen Hufgelenksflexion. Wenn ein Pferd nun aber bockhufig ist und man zwingt trotzdem den Huf in die gewünschte Form, wird das starke Deformationen nach sich ziehen. Wie man auf den Wunsch kam, das Pferd möge plan auffußen, lässt sich vielleicht am ehesten mit allgemeiner Ordnungsliebe erklären. Die Tierärztliche Hochschule Hannover hat in einer Untersuchung nachgewiesen, dass sich nicht mehr als 12% der untersuchten Pferde daran halten (Martens/Stadler 2006). Dennoch werden von Verfechtern des planen Auffußens immer noch vorzeitig den Boden berührende Hornanteile entfernt, die dem Pferd dann für lahmfreien Gang fehlen. Diese und weitere gängige Hufzubereitungstheorien wurden vor einigen Jahren in einer Studie auf ihre Tauglichkeit überprüft. Die Fragestellung lautete: Welche Hufzubereitungstheorie eignet sich dazu gleichmäßige Gelenkspalten sicherzustellen bzw. sicher herzustellen? Das Ergebnis der Studie lautet: „Es zeigten sich jedoch bei Erfüllung der in den Hufzubereitungstheorien aufgestellten Forderungen erhebliche Mängel in der Symmetrie der Zehengelenkspalten.“ (Müller 1999: 128)

b)      Man kann die Normvorgaben noch weiter treiben und dem Huf feste Winkel und ein bodenparalleles Hufbein vorschreiben, was gegen den individuell gestalteten Huf durchzusetzen ist. Das geht in vielen Fällen nicht ohne Blut und längere Phasen der Lahmheit und zieht weitere theoretische Konsequenzen nach sich: Auf den aus der erzwungenen Flachstellung resultierenden Trachtenzwang antwortet man mit einem „Trachten öffnen“, d.h. mit der Destabilisierung des Hufs durch Entfernung der Trachtenendkante bis tief in den Ballenbereich. Die Tendenz zum „Hufpantoffel“ wird theoretisch überhöht zum „Spannungsbogen“ über das vertikale Röhrbein zum flachen Hufbein.

c)      Auch die Orientierung am Modell des Wildpferdehufs ist modisch aber nicht sachdienlich. Sie führt zu der Entdeckung einer Vier-Punkt-Theorie, wo man ohne Not die Tragekräfte des Hufs auf vier Punkte reduziert und ein NBS-Eisen konzipiert, das Pferde leicht abfußen lässt mit der Folge einer kompletten Instabilität ihres Trageapparats. Aber auch sympathischere Adepten des Modells Wildpferdehuf handeln sich mit ihrer Orientierung an dem einen leistungsfähigen Huf ganz unnötig Probleme wie Trachtenzwang ein und schwächen die Tragkraft von domestizierten Haustier-Hufen mit einer „mustang roll“.

d)      Auch der Gedanke, man könne sich von jeder Schule die Versatzstücke abschauen, die der eigenen Befindlichkeit am nächsten kommen (Eklektizismus), hat das wesentliche verpasst. Korrekte Hufarbeit setzt nicht einfach eine Lehre oder Technik am Huf um, sondern muss in der Befundung dem Huf selbst entnehmen, wo dessen Grenzen der Dienstbarkeit liegen, um dem Huf daraus abgeleitet zu seiner optimalen Form zu verhelfen.

e)      Ich will in dem Zusammenhang auch ein (ketzerisches) Argument zu dem modischen Gedanken der „Ganzheitlichkeit“ verlieren. Die von mir dargestellte Huforthopädie ist nicht ganzheitlich. Sie befundet den Huf und konzentriert sich darauf, ihm zu mehr Funktionalität zu verhelfen. Bei diesem Unterfangen wird der Huforthopäde auf Voraussetzungen stoßen, die seine Arbeit beeinflussen und unter Umständen gar einen Erfolg verhindern. Die Bearbeitung eines Rehehufs wird sinnlos, wenn der Besitzer das Pony weiterhin auf grüner Weide mästet. Eine stark abgeriebene Zehe an den Hinterbeinen kann bspw. auf Rückenprobleme hindeuten oder auch ein Hinweis auf schlechtes Reiten oder einen unpassenden Sattel sein. Dauerhaft schlechtes Hornmaterial kann außer auf eine unphysiologische Hufsituation und/oder einen Mangel an Bodenreizen und Bewegung auch auf Stoffwechselstörungen hinweisen. Aber: Die Betreuung solcher „Baustellen“ ist nicht mehr Huforthopädie. Hier sind Tierarzt, Reitlehrer, Sattler etc. gefragt, deren Konsultation der Huforthopäde auch anraten sollte. Huforthopäden machen dem Pferdebesitzer kein „ganzheitliches“ Angebot, sondern arbeiten zum Wohle des Pferdes mit allen Spezialisten zusammen.

3. Das unbeschlagene Pferd bedarf der regelmäßigen Hufbearbeitung. Sachgerechte Hufbearbeitung muss die Prozesse erkennen, die den Huf deformieren und die Kräfte beherrschen, die am deformierten Huf wirken. Huforthopädie korrigiert den Huf nicht jedes Mal nachträglich, sondern setzt die Kräfte von Bodengegendruck und Abrieb vorausschauend so ein, dass der einzelne Huf seine Form nicht zum Nachteil verändert, sondern im Gegenteil zu seiner optimalen Form zurück findet. Dabei hat jede seriöse Hufbearbeitung ein quasi natürliches Korrektiv: Das Pferd soll nach der Bearbeitung nicht schlechter, nach Möglichkeit sogar besser laufen als zuvor.[2] Daran kann sich auch der unkundige Pferdebesitzer bei einer Beurteilung seines Hufbearbeiters orientieren.

Wo dieses Korrektiv fehlt, weil Schmerzen als notwendiger, steiniger, mehrere Jahre dauernder Weg zur Gesundung interpretiert werden, wird man auch bei lange andauernden Lahmheiten als Folge eigener Arbeit in seinem Tun nicht irre.

Der Kreis schließt sich: Ich bin bei meinem Ausgangspunkt angelangt: Ausschneiden kann nicht jeder! Die Bearbeitung des unbeschlagenen Pferdes ist eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit, deren Ausbildung sich bei der Deutschen Huforthopädischen Gesellschaft nicht ohne Grund über zwei Jahre erstreckt.

Und wenn ein Pferd ohne Eisen nicht laufen kann, obwohl seine Nutzung keineswegs zu übermäßigem Abrieb führt, gibt das nicht dem Eisenbeschlag als verbürgter Notwendigkeit bei 80% aller Pferde recht, sondern verweist auf eine unzureichende Barhufbearbeitung. Es wird Zeit, dass man der natürlichen Leistungsfähigkeit des Hufs in der Hufbearbeitung wieder gerecht wird!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Literatur

Biernat, J.; Rasch, K. (2003): Der Weg zum gesunden Huf. Cham.

Jackson, J. (2002): Horse owners guide to natural hoof care. Harrison/Arkansas.

Leisering, A.G.T.; Hartmann, H.M. (1893): Der Fuß des Pferdes. Dresden.

Martens, I.; Stadler, P. (2006): Bewegungsanalyse der Vordergliedmaßen von Warmblutpferden mit unregelmäßiger Stellung. Vortrag auf der 14. Hufbeschlagstagung für Hufschmiede und Tierärzte am 4. Februar 2006 in Berlin

Müller, G. (1999): Radiologische Methode zur Beurteilung der Hufzubereitung bei Pferden mit zehenweiter und zehenenger Stellung. Berlin.

Pforte, F. (2006): Die Sohle des Pythagoras. Huflehre nach Dr. Strasser. In: Natürlich Barhuf – Zeitung für ganzheitliche Pferdebehandlung, S.17-18.

Ramey, P. (2003): Making natural hoof care work for you. Harrison/Arkansas.

Rödder, F. (1977): Ohne Huf kein Pferd. Zürich.

Ruthe, H. (1997): Der Huf. Stuttgart.

Strasser, H. (1991): Gesunde Hufe ohne Beschlag. Friedberg/H.

  • Für die Abflachung der Sohle wurde in Modellen bis zu 10 mm errechnet (Pforte 2006:18). Das mathematisch ermittelte Ergebnis stört sich dabei nicht daran, dass - anders als im „Eimermodell“ - beim Huf die Sohle nur durch die Lederhaut vom Hufbein getrennt ist. Die errechnete Abflachung impliziert also entweder eine Trennung von Sohle und Hufbein oder eine Flexibilität des Hufbeins selbst. Solche Unmöglichkeiten hindern die Theoretiker nicht daran, aus ihrem Modell abzuleiten, dass in einen Huf immer ein Sohlengewölbe mit flexibler Sohle einzuarbeiten ist, damit ihr „Hufmechanismus“ funktionieren kann. Die Umsetzung solcher Hufmodelle in die praktische Hufarbeit ist einer der wesentlichen Bearbeitungsfehler. Durch die prinzipielle Herstellung einer konkaven Sohle wird die Schutzfunktion der Sohle geschädigt. Wenn dann noch die Konsequenz einer Fühligkeit des Pferdes oder gar einer Huflederhautentzündung als erstes Heilungszeichen interpretiert wird, hat der Hufbearbeiter kein Korrektiv mehr, seine eigene Arbeit kritisch zu beurteilen.
  • Der einzige Fall, wo dieses Vorhaben in der Regel nicht sofort eingelöst werden kann, ist bei der Umstellung auf Barhuf. Das Einsetzen der Hufmechanik führt bei langjährig beschlagenen Pferden zunächst leider oft zu einem vorsichtigen bis schmerzhaften Gang.